Zwei Ex-Profis auf Rennradtour.
«Giro Parc Naziunal Svizzer»
Von Nathalie Schneitter
Gemeinsam mit Florian Vogel, ehemaliger Europameister im MTB-Cross-Country, nehme ich den «Giro Parc Naziunal Svizzer» in Angriff. Wir verlassen Zernez früh morgens im ersten Sonnenlicht. Trotz hochsommerlichem Tag ist es ziemlich frisch. Frieren werden wir jedoch nicht, denn gleich am Dorfende steigt die Ofenpass-Strasse an.
Mitten durch den Schweizerischen Nationalpark
Bereits nach den ersten zwei Kehren fühlen wir uns weit ab der Zivilisation – Wälder und Berge soweit das Auge reicht. Flo (Florian) schlägt ein zügiges Tempo an. Einmal Rennfahrer, immer Rennfahrer. Ich sauge die Morgenstimmung und die Natur in ihrem satten Grün in mir auf. Die Strasse verläuft einsam durch die ausgedehnten Wälder des Nationalparks. Nach Ova Spin ist die erste Steigung geschafft.
Nach einer kurzen Abfahrt stehen wir am Schweizer Zoll und erblicken dahinter den Munt-la-Schera-Tunnel. Dieser verbindet das Engadin mit Livigno, das Befahren mit Fahrrädern ist verboten. Aber kein Problem: Ein Shuttlebus, welcher von Mitte Juni bis Mitte September fährt, steht bereit und wir verladen unsere Rennräder. Am Ufer des Stausees fahren wir durch die Galerien in Richtung Livigno. Hier trifft man oft Radprofis während ihres Höhentrainings.
Cappuccino in bella Italia
Selbstverständlich ist ein Cappuccino-Stopp in Livigno Pflicht. Durch Italien radeln ohne Kaffee-Pause? Undenkbar für uns! Gestärkt durch den Koffein-Schuss nehmen wir die Forcola di Livigno in Angriff. Beim Dorfausgang erwartet uns ein zermürbender Gegenwind. Zum Glück kann ich mich hinter Flo im Windschatten verstecken. Die Steigung startet sanft und schon von weit unten sehen wir die Passhöhe. Auf den letzten Kilometern kommen wir mächtig ins Schwitzen. Der höchste Punkt der Forcola di Livigno liegt auf 2315 m ü. M und bildet die Grenze zwischen dem Puschlav in Graubünden und Italien.
Die folgende Abfahrt ist kurz, aber rasant. Schöne Serpentinen gefolgt von langgezogenen Kurven bringen uns zur Südrampe des Berninapass, wieder zurück in die Schweiz. Das Panorama lässt die müden Beine nochmals zur Hochform auflaufen. Wir fahren einen guten Rhythmus und geniessen die hochalpine Landschaft.
Temporausch bergab
Auf der Passhöhe auf 2327 m ü. M. sind die meisten Höhenmeter unserer Tour geschafft. Von hier gehts (fast) nur noch bergab. Ein Blick nach links zum türkisen Stausee Lago Bianco darf nicht fehlen. Doch dann heissts wieder volle Konzentration, weiter geht der Temporausch. Die Abfahrt führt entlang der Berninalinie der Rhätischen Bahn – diese Eisenbahnstrecke gilt seit 2008 als UNESCO-Weltkulturerbe.
Tipp: Verschiesst bei der Abfahrt noch nicht alle Körner. Denn auf dem Weg zurück nach Zernez warten noch 30 Kilometer durchs Engadin. Wir gönnen uns in einer Bäckerei in Pontresina eine kleine Stärkung. Dem Inn entlang fahren wir talabwärts durch das «Engiadina», wie das Tal auf Rätoromanisch heisst. Die Landschaft ist geprägt durch Gletscher sowie Arven- und Lärchenwälder. Nach Cinuos-chel wird das Tal enger und wilder, der Inn rauscht zwischen den Felswänden hindurch.
Fazit: Mit offenem Herzen und Augen für die Schönheit der Bergregion macht Radfahren noch mehr Spass.
Nathalie Schneitter Ex-Mountainbike-Profi
Auf dem Dorfplatz in Zernez gönnen wir uns eine kleine Auszeit und hecken Pläne für den nächsten Tag: Flüela- und Albulapass, das wäre doch was? Oder lieber die Dreiländerrundfahrt über Reschen- und Ofenpass? Zernez bietet die Qual der Wahl – zum Glück haben wir das Gravelbike nicht auch noch dabei.
Autorin.
Nathalie Schneitter
Bei Nathalie Schneitter dreht sich auch nach ihrer Mountainbike-Profi-Karriere alles ums Thema Rad. Mit Graubünden verbindet sie eine grosse Liebe zu epischen Alpenpässen, Singletrails und urchiger Kulinarik.