Mit dem Alpen-Cowboy durch Berg und Tal.

Wanderreiten

In der Ferienregion Savognin Bivio Albula (Foto: © Thalia Wünsche)
Ziegen sind berggängig. Maultiere ebenfalls – wurden mit ihnen doch einst Güter über die Bündner Pässe in den Süden transportiert. Aber Pferde? Bis vor Kurzem ging ich davon aus, dass sich diese nur im Flachen wohlfühlen. Ein zweitägiger Wanderritt mit Alfons Cotti in den Bergen des Surses hat mich eines Besseren belehrt.

Von Thalia Wünsche

Wer mit Alfons Cotti hoch zu Ross die Täler rund um Savognin erkunden will, den erwartet kein gesatteltes Pferd. Das musste selbst ein Carlo Janka erfahren, wie uns der Alpen-Cowboy später beim Abendessen verraten wird. Also machen wir uns nach der Ankunft auf der Alp Flix auf zur Koppel. Sie liegt unweit des Agrotourismusbetriebs «Cotti Agricultura», wo wir heute übernachten werden, eingebettet in liebliche Hügel. Schöner kann man als Pferd nicht leben.

Alp Flix (Foto: © Thalia Wünsche)

Unterwegs erklärt uns Cotti, er wolle, dass Pferd und Reiter partnerschaftlich zusammenarbeiten und sich aufeinander verlassen. Das bedinge Vertrauen. «Und deshalb tun wir jetzt ein bisschen Pferdeflüstern.»

Wenn einem das Pferd ohne Führstrick folgt

Was er unter Pferdeflüstern versteht, demonstriert uns Cotti im Round-Pen: Ohne Strick läuft ihm seine Appaloosa-Stute hinterher und trabt locker Kreise um ihn. Gang- und Richtungswechsel steuert Cotti dabei ausschliesslich über seine Körpersprache.

Reiter auf der Alp Flix (Foto: © Thalia Wünsche)

Ob mir das auch gelingt? Mit Zweifeln und weichen Knien führe ich Gonzo, mein Pferd für die nächsten drei Tage, auf den eingezäunten Platz und nehme ihm das Halfter ab. «Du musst dich entspannen, mit der Energie runterfahren, dann wird er dir nachlaufen», so Cottis Anweisung. Ich atme also tief aus, flüstere «Gonzo, bitte lass mich nicht im Stich» und mache zaghafte Schritte weg vom Pferd. Und siehe da: Mein grosser starker Wallach folgt mir wie ein Lamm. Und reines Anfängerglück war es nicht, wie weitere erfolgreiche Versuche beweisen.

Von der Alp Flix in die Val Faller

Trotz leisen Protests unserer Muskeln – nach der Bodenarbeit sind wir gestern noch zwei Stunden ausgeritten – kriechen wir am nächsten Morgen hochmotiviert aus dem Bett und spazieren vom Berghaus Piz Platta zum Hof von Alfons Cotti. Bevor wir heute wieder in den Sattel steigen dürfen, beladen wir die Pferde mit unserem Gepäck. Denn die Nacht werden wir nicht auf der Alp Flix, sondern in der Val Faller, auf der gegenüberliegenden Talseite, verbringen.

Alfons Cotti (Foto: © Thalia Wünsche)

Diesen Pferden macht ein Maultier nichts vor

Mal im Schritt und mal im Trab geht es durch Wälder und über Wiesen. Alfons Cotti kennt die Gegend und weiss genau, welche Wanderwege er seinen Pferden zumuten kann und wann wir die Vierbeiner besser führen. Zu meiner Überraschung müssen wir heute nur zweimal dafür aus dem Sattel steigen. Ich lerne: Diese Pferde sind mindestens so berggängig wie Maultiere. Sie tragen uns trittsicher über schmale Pfade. Wurzeln und Steine machen ihnen gar nichts aus.

Die Pferde im Wald (Foto: © Thalia Wünsche)

Einmal Provence und zurück

Mit Pferden arbeite er seit 20 Jahren, erzählt Cotti, während wir am Marmorera-Stausee vorbeireiten. Und jetzt, da seine Söhne den Schafhof und Agrotourismusbetrieb übernommen haben, könne er sich ganz auf sie konzentrieren. Mit Pferdenarren wie uns unternimmt er Tages- oder Wanderritte, daneben baut er Sättel. «Wenn man drei Monate am Stück reitet, muss man bequem sitzen», erklärt er. «Wie drei Monate?», frage ich zurück. Ja, er sei 90 Tage hoch zu Ross unterwegs gewesen; einmal bis in die Provence und zurück. Ich staune nicht schlecht. Das Abenteuer passt aber zum kleinen, stämmigen Mann mit Cowboyhut, der seinen Pferden gleich viel Wohlwollen entgegenbringt wie seinen Gästen.

Reiter auf der Alp Flix (Foto: © Thalia Wünsche)

Die besten Pizzoccheri gibt’s im Piz Platta

Am Nachmittag erreichen wir die Val Faller. Dieses Tal ist das Gegenteil der Hochebene Alp Flix: Es ist eng, die Berge sind näher – besonders beeindruckend ist der Piz Platta – und es ist hier sogar noch ruhiger. In Tga, dem einzigen Weiler, stehen gerade einmal zehn Häuser.

Die Pferde sind vom letzten Aufstieg nassgeschwitzt und löschen ihren Durst im Brunnen, wir im Gasthaus, das nach dem markanten Gipfel benannt ist. Auch wenn Gonzo heute für mich die Berge hochgelaufen ist, nach fünf Stunden im Sattel bin ich geschafft und spüre deutlich untrainierte Muskeln – das regelmässige Reiten fehlt mir.

Weiler Tga (Foto: © Thalia Wünsche)

Die Sonne geht früh hinter den hohen Gipfeln unter und wir verkriechen uns mit den letzten Lichtstrahlen zum Abendessen in die Wanderhütte. Es gibt Pizzoccheri, die Spezialität des Hauses. Die Buchweizennudeln mit Gemüse und Käse schmecken hervorragend. Zusammen mit den anderen Gästen langen wir beim Nachschlag kräftig zu.

Die Pferde im Wald (Foto: © Thalia Wünsche)

Mach mal langsam, Gonzo!

Am Morgen wiederholen wir das Ritual vom Vortag: Pferde von der Koppel holen, striegeln, aufsatteln und mit den Taschen beladen. Heute geht es schneller, denn die Handgriffe sind uns vertraut.

Die erste Stunde reiten wir auf einer kleinen Strasse die Val Faller hinunter. Gonzo ist ausgeruht und ich muss ihn immer wieder bremsen, damit die anderen nicht den Anschluss verlieren. Vielleicht ist es sein argentinisches Blut – «mein» Wallach ist ein südamerikanischer Criollo, gezüchtet für Ausdauer –, vielleicht spürt er auch nur, dass wir den Heimweg angetreten haben und er will zu seiner Herde zurück.

Früher hielten hier Postkutschen an

In Mulegns erreichen wir die Hauptstrasse und steigen für eine Kaffeepause im Hotel «Löwen» ab. Bevor es Autos gab und die Bezwingung der Pässe in Graubünden noch eine ernsthafte Herausforderung darstellte, hielten hier die Postkutschen an, um ihre Pferde auszuwechseln. Von den Überbleibseln dieser Zeit profitieren wir: An den alten Eisenringen in der Wand des Stalls hinter dem Gasthaus können wir unsere Vierbeiner festbinden.

Hotel Löwen in Mulegns (Foto: © Thalia Wünsche)
Pferde ruhen in Mulegns (Foto: © Thalia Wünsche)

Im gestreckten Galopp den Berg hinauf

«Jetzt können wir unsere Rösser noch richtig auspowern», kündigt Alfons Cotti an, nachdem wir den Weiler Rona hinter uns gelassen haben. Unsere Reaktion ist ein breites Grinsen. Bei seinen fitten Pferden gibt es dafür nur eine Methode: Galoppieren, den Berg hinauf. Gonzos enorme Kraft nochmals zu spüren, während ich auf ihm durch den Wald und um enge Kurven presche, ist der krönende Abschluss unseres Wanderritts.

In diesem Tempo erreichen wir die Alp Flix schnell. Da es Nachmittag geworden ist und am nächsten Tag das Büro auf mich wartet, muss ich mich verabschieden: von Gonzo – er wird nun zwei Tage wohlverdiente Ruhe auf der Koppel geniessen –, Alfons Cotti und den Bergen des Surses. Sie alle sind mir während des Wanderritts ans Herz gewachsen. Wen ich von ihnen am meisten vermissen werde, ist aber auch klar: «Gonzo, wir werden uns wiedersehen.»

Thalia Wünsche und der Criollo-Wallach Gonzo (Foto: © Thalia Wünsche)
Thalia Wünsche

Autorin.

Thalia Wünsche

Thalia ist Wahlbündnerin und bringt seit 2016 für Graubünden Ferien Journalist*innen und Blogger*innen an die schönsten Orte der Region. Wenn sie nicht hinter dem Schreibtisch sitzt, ist sie am liebsten in der Natur unterwegs; entweder mit ihrem Hund oder ihrer Kamera.

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