Klettersteig.
Über den Himmelsweg auf die Sulzfluh
Von Thalia Wünsche
Die Sonne steigt just in dem Augenblick über die Schijenflue, als wir den Einstieg des Familienklettersteigs Partnunblick erreichen. Wir halten kurz inne, geniessen das Lichtspiel und verschnaufen. Hinter uns liegt bereits eine einstündige Wanderung: vom Berghaus Sulzfluh ging es vorbei am spiegelglatten Partnunsee auf einem immer schmaler werdenden Pfad den Berg hinauf.
Vor uns liegen fast 500 Klettermeter; aufgeteilt auf zwei Klettersteige. Der Erste ist einfach und für Anfänger*innen sowie Familien geeignet. Den Zweiten sollte man nur machen, wenn man genügend Klettersteigerfahrung oder Kletterkenntnisse hat.
Familienklettersteig Partnunblick: für Kinder gebaut
Wir schlüpfen in unsere Gurte und setzen unsere Helme auf. Ein letzter Sicherheitscheck, dann geht es Schritt um Schritt, Zug um Zug in die Felswand. Der Familienklettersteig ist lieblich in den Berg gelegt: Auf vertikale Aufstiege folgen immer wieder horizontale Traversen. Nur schwindelfrei sollte man sein. Ansonsten stockt einem bei der Sicht auf den Partnunsee, der nun weit unter uns liegt, der Atem. Was uns auffällt: Beim Bau des Steigs wurde an Kinder gedacht. Die Abstände zwischen den Eisenklammern sind gering und das Umhängen der Karabiner geht überall leicht von der Hand.
Klettersteig Partnunblick: heraus-, aber nicht überfordernd
Beim gemeinsamen Abendessen am Vorabend hat uns Andres Scherrer, der Erbauer beider Klettersteige, vorgewarnt: «Der neue ‹Partnunblick› ist technisch sogar etwas schwieriger als der Klassiker an der Sulzfluh.» Da meine Begleitung Claudia über grosse Erfahrung verfügt – sie hat schon über 50 Klettersteige gemacht – und ich Sportklettern zu meinen Hobbys zähle, fühlen wir uns der Herausforderung gewachsen. Nichtsdestotrotz steigen wir mit Respekt in die Wand ein. Denn ist man einmal im Klettersteig drin, kommt man meistens nicht mehr so leicht raus.
Unser Fazit ziehen wir auf der Holzbank kurz vor dem Ausstieg: Ja, der «Partnunblick» spielt in einer anderen Liga als der darunterliegende Familienklettersteig und die überhängenden Stellen – es sind nicht viele – erfordern etwas Mut und Kraft in den Armen. Leichte und schwere Passagen wechseln sich aber in einem guten Rhythmus ab. So wird aus der Herausforderung nie eine Überforderung. Auf den Quergängen, zum Beispiel dem 70 Meter langen Himmelsweg, hatten wir sogar Zeit, die Aussicht zu geniessen. Und diese ist einfach grossartig.
In 30 Minuten auf den Gipfel
Vom Ende des Klettersteigs erreichen wir das Gipfelkreuz der Sulzfluh in einer guten halben Stunde. Wir sind uns einig: Die zusätzlichen Höhenmeter haben sich gelohnt. Die Sicht ist klar. Wir sehen im Norden die Berge Vorarlbergs, im Süden die Bündner Gipfel. Darunter auch den Piz Bernina, den höchsten Berg des Kantons.
Ein Abstieg, der es in sich hat
Der anstrengendste Teil des heutigen Bergabenteuers folgt überraschenderweise erst nach dem Gipfel, der Abstieg durch das Gemschtobel. Auf dem ersten Stück führt der Wanderweg über grosse Steinplatten, dann über Geröll. Jetzt ist bei jedem Schritt Vorsicht geboten, um auf den losen Steinen nicht auszurutschen und nicht auf dem Hintern zu landen. Entschädigt werden wir mit der Aussicht ins Partnuntal und, als wir den gleichnamigen Bergsee erreichen, mit einem Sprung ins kalte Wasser.
Unser Tipp: Übernachtung im Berghaus Sulzfluh
Vom Partnunsee könnte man sich für zehn Schweizer Franken ein Trottinett leihen, in einer Viertelstunde nach St. Antönien hinuntersausen und von dort die Heimreise mit Postauto und Zug antreten. Wir haben aber einen besseren Plan: Wir bleiben in den Bergen und übernachten im Berghaus Sulzfluh.
Das Berghaus bietet, verglichen mit einer SAC-Hütte, Komfort im Überfluss. In unserem Zimmer im modernen Anbau steht ein grosses Doppelbett und wir haben eine eigene Dusche. Zugegeben: Nach der langen Bergtour bei sommerlichen Temperaturen schätzen wir diese sehr.
Petrollampen statt Glühbirnen
Gleichzeitig müssen wir in der «Sulzfluh» aber auch nicht auf das Urige verzichten. Die Gaststube sieht so aus, wie man es in einem Berghaus erwartet: getäferte Decke, Geweihe an der Wand, massive Holzmöbel. Einen Lichtschalter sucht man hier vergebens. Erleuchtet wird der Raum beim Abendessen – es gibt Salat, Rahm-Geschnetzeltes mit Reis und zum Dessert wildgepflückte Heidelbeeren mit Vanilleeis – von Petrollampen.
Drei Fragen an Andres Scherrer, den Erbauer der Klettersteige
Was macht den Klettersteig Partnunblick besonders?
Die Linienführung mit vielen schönen Quergängen. Bei der Planung habe ich mich an den speziellen Stellen in der Felswand orientiert und mir überlegt, wie ich diese zugänglich machen kann. Ein Beispiel: eine natürliche Höhle im Berg, die ich Hotel California getauft habe. Der Klettersteig führt durch diese hindurch, anstatt oben oder unten daran vorbei.
Den Klettersteig Partnunblick hast du zusammen mit dem Familienklettersteig gebaut. Wie lange hat das gedauert?
Als Einheimischer kenne ich mich hier gut aus. Die Planung war deshalb keine grosse Sache: Für den Klettersteig Partnunblick habe ich zwei, für den Familienklettersteig einen Tag gebraucht. Die Umsetzung hat dann mehr Zeit in Anspruch genommen. Wir haben zu siebt fünf Wochen lang an den Klettersteigen gearbeitet.
Wieso hängt kurz vor dem Ausstieg des Klettersteigs ein Klauenhammer in der Felswand?
Im Volksmund heissen die Menschen im Prättigau «Chöttihammertaler». Der Name geht auf einen grausigen Mord im Jahr 1915 zurück. Damals gerieten zwei Bauern in einen Geldstreit und der eine erschlug den anderen mit einem Klauenhammer – oder eben Chöttihammer. Ich fand es passend, die schwierigste Stelle des Klettersteigs, den Chöttihammerzug, nach den Einheimischen zu benennen. Auch wenn ich natürlich weiss, dass die wenigsten dies verstehen werden.
Autorin.
Thalia Wünsche
Thalia ist Wahlbündnerin und bringt seit 2016 für Graubünden Ferien Journalist*innen und Blogger*innen an die schönsten Orte der Region. Wenn sie nicht hinter dem Schreibtisch sitzt, ist sie am liebsten in der Natur unterwegs; entweder mit ihrem Hund oder ihrer Kamera.