Auf Besuch beim Steinbock.
Natur-Erlebnisse im Naturpark Beverin

Text – Lisa Savenberg / Bild – Nico Schaerer
Tag 1
Vom Glaspass nach Turra
In welche Richtung und von wo aus man die viaCapricorn (Capricorn ist Romanisch für «Steinbock») auch beschreitet, ein Feldstecher darf im Gepäck nicht fehlen. Die Rundtour führt durch ein wahres Tierparadies: Um den Piz Beverin, im Herzen des Naturparks, befindet sich ein eidgenössisches Jagdbanngebiet. Es ist Heimat der Steinbockkolonie Safien-Rheinwald mit rund 350 Tieren. Die hier beschriebene Reisevariante startet allerdings nicht mit Fell, sondern Federn, und zwar auf dem Glaspass: Dort findet im Oktober der internationale Zugvogeltag statt. Auch für die Bewohnerinnen und Bewohner des Safientals war der Glaspass jahrhundertelang ein Ort des Aufbruchs, die wichtigste Route zur Aussenwelt – mit Vieh und Ware beladen querten sie ihn, um zum Marktort Thusis zu gelangen.


Von Inner Glas geht es gut 500 Höhenmeter steil hinab nach Safien Platz. Vorne an der Talstrasse sollte man dem Selbstbedienungs-Lädeli Spensa einen Besuch abstatten: Es ist prall gefüllt mit Produkten aus dem Safiental. Dann steigt der Weg durch den Platzer Cherawald auf und führt nach Camanaboda. Von der Walsersiedlung aus geniesst man einen herrlichen Blick auf die gegenüberliegende Talseite und die Safier Bergwelt. Kein Wunder, fühlen sich im Naturpark viele Wildtiere wohl. In den Höhen könne man diese am besten im Frühling und Anfang Sommer beobachten, erzählt Paul Gartmann, der hier 33 Jahre als Wildhüter tätig war. Da erwacht die Natur langsam, schüttelt die kalten Wintermonate von sich ab. «Wenn du dann hochgehst, kann es gut sein, dass du plötzlich mitten in einer Gruppe von Steinböcken oder Gämsen drin bist», erzählt er. Seine Augen leuchten. Die Jagd und die Wildbeobachtung haben Gartmann von klein auf fasziniert – «ich habe einfach mein Hobby zum Beruf gemacht», schwärmt der inzwischen pensionierte Talbewohner.


Camanaboda hält ebenfalls Begegnungen mit Vier- und Zweibeinern – wenn auch zahmeren – bereit. Auf dem Hof der Familie Blumer leben Kühe und Schafe, Esel und Ponys, Hühner und Ziegen. Zudem haben Blumers einen ehemaligen Stall zu einem Beizli und einer Ferienwohnung umfunktioniert. Dass man im Safiental dort nächtigt, wo einst das Futter des Viehs lagerte, ist keine Seltenheit: Ein Verein setzt sich gar gezielt dafür ein, die typischen Safier Ställe zu erhalten und die Gebäude neu in Stand zu setzen.
Der Weg steigt anschliessend leicht an und führt dann auf rund 2'000 Metern Höhe weiter ins Tal hinein. Durch den Bawald erreicht man die benachbarten Weiler Turra und Thalkirch, wo zwei gemütliche Gaststuben mit Speis und Trank aufwarten. Zum einen das Turrahus, ein 300-jähriges Walserhaus mit Restaurant, Zwei- und Mehrbettzimmern sowie einer Gruppenunterkunft. Zum andern der Gasslihof in Thalkirch, in dessen Stube hofeigenes Bio-Fleisch serviert wird. Wenn man sich dort in eines der urchigen Zimmer zurückzieht, kann es gut sein, dass man im Traum von einem waschechten Capricorn besucht wird. Ob es am Kopfschmuck von Hirsch und Co. liegt, der die hölzernen Wände ziert?
Tag 2 und 3
Von Turra über Wergenstein zum Glaspass
Am nächsten Tag steht der anspruchsvolle Aufstieg aufs Alperschälli auf dem Programm. Hier sollte man Ausschau nach Steinböcken halten: «Im Sommer teilt sich die Kolonie in zwei Rudel, eines lässt sich rund um den Beverin nieder, eines im Alperschälligebiet», erklärt Paul Gartmann, der die Bestände jahrelang gezählt und dokumentiert hat. Es sei der schönste Teil seiner Arbeit gewesen, sagt der ehemalige Wildhüter: «Zu den Steinböcken habe ich schon eine Art Beziehung aufgebaut und einzelne erkannt.»


Nach dem Bergsee Lai Grand verläuft der Weg über die Hochmoorlandschaft der Alp Anarosa. Dann vorbei an der Alp Nurdagn – einer Beiz mit Schlafplätzen – und hinunter bis nach Wergenstein. Im Hotel Restaurant Capricorns ist der Besuch der kleinen Steinbock-Ausstellung, ausruhen und ausgezeichnet essen angesagt. Letzteres tut man in einem Speisesaal mit Rundum-Fensterfront, als wäre man immer noch mittendrin in der Natur, die langsam in ihr nächtliches Kleid gehüllt wird.
Am nächsten Tag können Familien eine abenteuerliche Capricorn-Pirsch unternehmen, oder es geht gleich weiter mit der nächsten Etappe. Sie führt über den Carnusapass – wer mag, verkürzt die Marschzeit mit dem Wanderbus. Auch auf diesem hochgelegenen Abschnitt gibt es nochmals wunderbare Gelegenheiten, Tiere zu beobachten. Zum Schluss geht es durch den Wald abwärts und die letzten 200 Höhenmeter hoch bis zum Glaspass. Von wo aus man, getreu dem Vorbild der Zugvögel, wieder in eine Himmelsrichtung seiner Wahl weiterziehen kann.
Auf einen Blick: Tierische Fakten
Wer fliegt, springt, grast und pfeift denn da? Der Naturpark Beverin ist ein Paradies für wilde und weniger wilde Tiere, über die es Spannendes zu erfahren gibt. Zudem setzt sich der Park für die Bewahrung der Artenvielfalt und für ein gutes Nebeneinander von Mensch und Tier ein.
- 100 Jahre lang traf man keine Schwarzen Alpenschweine im Naturpark Beverin an – seit 2021 sind sie zurück in der Region.
- 200 Feldlerchenreviere In dieser Grössenordnung hält sich der Bestand der Feldlerchen, der seit 2016 regelmässig erfasst wird.
- 24 Jahre beträgt das Höchstalter einer Steingeiss.
- 31 km2 gross ist das eidgenössische Jagdbanngebiet um den Piz Beverin.
- 2 nicht-einheimische Tiere mit vier Höckern können in Safien Platz bewundert werden: die beiden Kamele der Familie Bandli.

Autorin.
Lisa Savenberg
Lisa Savenberg erkundet neue Orte am liebsten zu Fuss – wilde Naturlandschaften genauso wie pulsierende Städte. Beruflich ist sie in der Kommunikation und Redaktion heimisch, ihre Texte erschienen zum Beispiel im «Transhelvetica».